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Max Friedrich Wilhelm
Bezzel zurück zur
Chronik
Eigentlich hätte er gerne Mathematik
studiert, aber Freunde rieten ihm ab, "weil die
Aussichten in Bayern für einen Mathematiker damals
greuliche waren". 1872 erschien in der
Deutschen Schachzeitung einer der anrührendsten
und längsten Nachrufe, den diese Zeitung
veröffentlicht hat. Er galt Max
Bezzel. Man hat ihn als Schachspieler
heute fast vergessen, aber er war in der Zeit bis
1870 der einzige bedeutende Meisterspieler in
Bayern. Fast gleichzeitig widmete er sich dem
Problemschach, einem Gebiet, an das heutige
Meisterspieler kaum herangehen. So schreibt
Manfred Zucker, ein Fachmann auf diesem Gebiet:
"Aus problemschachlicher Sicht ist Max Bezzel
insbesondere durch seine beiden
Konstruktionsaufgaben unsterblich. Die Aufstellung
aller acht weißen Figuren mit der Höchstzahl von
genau 100 Zugmöglichkeiten wurde vielfach
nachgedruckt und blieb bis heute unübertroffen.
Ebenso bedeutend ist die Fragestellung zum sog.
"Achtköniginnenproblem", die (nach Dr. Max Lange)
auf ihn zurückgeht, auch wenn er dieses Problem
nicht vollständig lösen konnte." 1848
stellte Max Bezzel in der Berliner "Schachzeitung"
die Aufgabe, acht Damen so auf einem Schachbrett
aufzustellen, dass keine die andere im nächsten
Zug schlagen kann. Acht Damen ist die Höchstzahl,
die sich ohne gegenseitigen Angriff auf einem
gewöhnlichen Schachbrett unterbringen lässt.
Bezzel fragte nach der Zahl der möglichen
Lösungen. Diese Fragestellung erregte die
Aufmerksamkeit der Schachspieler und der
Mathematiker. Sogar der große Carl Friedrich Gauß
befasste sich mit dieser Aufgabe. Schon 1850 gab
dann Dr. Nauck in der "Illustrirten Zeitung" die
richtige Lösungszahl 92 an. Heinrich Hemme hat
in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 28.Dezember 2000
die Geschichte der Lösungen durch die
Mathematik dargestellt (Kampf der Damen auf dem
Schachbrett). Einiges sei herausgegriffen. Bei n
mal n Feldern können immer nur n Damen auf dem
Brett stehen. Bis 1890 konnte man in mühsamer,
langwieriger Handarbeit herausfinden, dass es beim
11 mal 11-feldrigen Brett 2680 Möglichkeiten gibt,
11 Damen so zu stellen, dass sie sich im nächsten
Zug nicht schlagen können. Erst im Zeitalter der
Computer kam man weiter. "Den Weltrekord halten
zur Zeit die beiden französischen Informatiker
Sylvain Pion und Joel Fourré. Sie errechneten 1998
mit Hilfe von 300 Computern, die gleichzeitig zwei
Monate lang arbeiteten, dass es auf dem 23 mal 23-
Schachbrett 24 233 937 684 440 verschiedene
Stellungen der 23 Damen gibt, die sich auf 3 029
242 658 210 Grundlösungen zurückführen
lassen." Längst sind die Mathematiker zum
Torus-Schachbrett übergegangen, weil hier der
Rechenaufwand geringer ist. Das soll hier aber
nicht weiter erörtert werden. Es soll nur
hervorgehoben werden, dass der Mathematiker
Matthias Engelhardt (damals bei der Firma Siemens) in
Nürnberg das Damenproblem auf einem Torusbrett von
25 mal 25 Feldern löste. Das Problem, das
grundsätzlich von Franken aus gestellt worden war,
hat also auch eine Lösung in Franken
gefunden. Verwundert fragt man sich, wieso man
sich in der Mathematik mit solchen Themen
überhaupt abgibt. Noch einmal sei Heinrich Hemme
zitiert: "Das Damenproblem hat sich nun in den
letzten Jahren zu einem Standardproblem gemausert,
mit dem in der Informatik Backtracking-Algorithmen
und Computer getestet und miteinander verglichen
werden." Max Bezzel hat also im Schach ein
Thema der Mathematik angesprochen, das dann in
dieser Wissenschaft bedeutsam wurde. Es war die
mathematische Seite des Schachs, die ihn
faszinierte. Und nun wollen wir versuchen,
seinen Lebenslauf kennen zu lernen. Friedrich
Wilhelm Max Bezzel wurde 1824 in Herrnberchtheim
geboren, wo sein Vater Pfarrer war. Das Dorf liegt
in Franken nördlich von Uffenheim. 1830 wechselte
sein Vater vom Kirchendienst in den Staatsdienst
und wurde Gymnasialprofessor in Ansbach am
dortigen Gymnasium, dem heutigen Gymnasium
Carolinum. Auch der Sohn besuchte diese Schule und
machte dort sein Abitur. Die neun Kinder der
Familie, sechs Buben und drei Mädchen,
beschäftigten sich gerne mit Brettspielen, also
mit Mühle, Dame und vor allem mit Schach. Allen,
auch den Mädchen, rühmte man Gewandtheit in diesem
Spiel nach, aber nur Max gelangte zur
Meisterschaft. Der Vater betrieb also, modern
gesprochen, bewusste Jugendarbeit in diesem Spiel.
Schon 1833 starb der Vater, die Mutter und die
neun Kinder bewahrten durch festes Zusammenhalten
ihre Familie. Was hier der junge Max leistete, und
offensichtlich gerne leistete, klingt unglaublich
und würde heute als nur als totale Überforderung
angesehen werden. Er war immer ein ausgezeichneter
Schüler, besonders in Mathematik, der durch
erreichte Stipendien die Familie entlastete. Er
unterrichtete die jüngeren Brüder und gab auch
anderen täglich bis zu drei Nachhilfestunden.
Seine ausdrücklich gerühmte "Klarheit" machte ihn
zum gesuchten Lehrer. Dabei betrieb er noch eifrig
und erfolgreich Sport, er war ein tüchtiger
Schwimmer, selten in der damaligen Zeit, und ein
tüchtiger Turner. Mit seinen Schulkameraden
spielte er häufig Schach und bildete sich "auch
theoretisch aus mustergiltigen Büchern" weiter.
Diese Bücher konnte und wollte er sich
offensichtlich leisten. Als er mit siebzehneinhalb
Jahren auf die Universität Erlangen ging, um dort
Jura zu studieren, "war er auch bereits ein
richtiger und tüchtiger Meister im Schach."
Erstaunlich ist, dass er diese Meisterschaft nicht
im Wettstreit mit anderen Meistern erreichte,
sondern dass er diese Spielstärke aus sich selbst
heraus gewann. Er wäre gerne Mathematiker
geworden, aber "weil die Aussichten in Bayern für
einen Mathematiker damals greuliche waren", wie
die Schachzeitung schreibt, verzichtete er darauf.
Schon ein Jahr später ging er nach München,
offensichtlich auch um Anschluss an spielstarke
Schachkreise zu finden. Das Studium wurde aber, im
Gegensatz zu heutigen Schachgrößen, nicht
versäumt. 1844 machte er eine Schachreise nach
Wien, damals ein Schachzentrum Europas. Dort war
er höchst erfolgreich, ohne dass man heute noch
Näheres darüber weiß, und fand größte Anerkennung,
man ermutigte ihn sogar, die Reise nach Budapest
und Pressburg auszudehnen. Das war aber dem
"bayerischen Schach-Aar", wie er einmal genannt
wurde, wohl finanziell und zeitlich nicht
möglich. Während seiner restlichen Studienzeit
in München übte er sich im Blindspiel, also im
Schachspiel ohne Ansicht des Schachbrettes, und
war darin recht erfolgreich. Nach einem sehr guten
Examen kehrte er wieder nach Ansbach in das
mütterliche Heim zurück, das er auch während der
Studienzeit jährlich besucht hatte. Seine Mutter
und nach deren Tod seine ältere unverheiratete
Schwester führten ihm, der ebenfalls unverheiratet
blieb, bis ans Lebensende den Haushalt. In Ansbach
vollendete er seine juristische Ausbildung und
wurde dann 1854 Rechtsrat dieser Stadt. In all
dieser Zeit, gab er, der ein tüchtiger und
hochangesehener Jurist war, bis in die Mitte der
sechziger Jahre immer noch Privatunterricht in
Mathematik. Noch immer lebte die Liebe zu dieser
Wissenschaft. Ganz sicher nahm er auch in dieser
Zeit Kontakt zu dem offenen Schachzirkel in dieser
Stadt auf. Spieler aus diesem Kreis gründeten dann
1855 den Schachclub Ansbach, der bis in unsere
Tage besteht. Im Gründungsprotokoll wird
festgehalten, dass man zusammengekommen war, um
ein von Bezzel gelöstes Schachproblem in Empfang
zu nehmen. Bezzel war also der Katalysator der
Gründung, obwohl er selbst an der Gründung nicht
beteiligt war. Schon bald aber wurde er
Ehrenmitglied dieses Vereins, und die Teilnahme am
Vereinsgeschehen blieb bis zu seinem Tod ein
wichtiges Element seines Lebens, obwohl er dort
keinen auch nur einigermaßen ebenbürtigen Partner
hatte. Ihn freute es, in diesem Kreis zu
unterrichten, anzuregen und Schachprobleme
darzustellen. Seit den vierziger Jahren
veröffentlichte er in der Deutschen Schachzeitung
und in deren Vorläufer Schachaufgaben, wobei er
vor allem höchst geistreiche und tiefsinnige
Selbstmatts komponierte. Bei dieser Sonderform des
Problemschachs zieht Weiß an und zwingt Schwarz
trotz der eigenen starken Überlegenheit, ihn in
einer bestimmten Anzahl von Zügen mattzusetzen. Er
beteiligte andererseits sich als eifriger Löser
von Schachproblemen. Noch 1870 feierten ihn die
Preisrichter geradezu enthusiastisch für die
Lösung des sogenannten "Schurig´schen
Riesenproblems": "Die Lösung des Herrn Max Bezzel
ist äußerst scharfsinnig, knapp bei aller
Vollständigkeit, elegant und brillant - kurz eine
ausgezeichnete Lösung, wie niemals eine
vollendetere ausgedacht worden ist. Die Lösung
gleicht nahezu einer Aufgabensammlung; denn sie
schließt ungefähr ein Hundert verschiedener
Selbstmattaufgaben ein." Zum praktischen Schach
kam er aus beruflichen Gründen selten, aber es gab
doch eine Reise in ein Schachzentrum und
Begegnungen mit bedeutenden Spielern. 1856 war er
in Leipzig zu Gast bei der Schachgesellschaft
"Augustea". Dort spielte er auch mit deren damals
bestem Spieler Pollmächer zehn Partien, gewann
davon sechs, verlor eine und remisierte dreimal.
Auch eine Partie mit Max Lange, der erst zwischen
1862 und 1868 zu den stärksten deutschen
Schachmeistern gehörte und von 1894 bis 1898
Präsident des Deutschen Schachbundes war, ist
überliefert. Man war von dem "gemüthlichen Bayern"
in Leipzig sehr angetan und zählte ihn damals zu
den stärksten deutschen Spielern.. In einem der
folgenden Jahrgänge der Deutschen Schachzeitung
findet sich tatsächlich eine Notiz, dass man
überlege, Bezzel gegen den berühmten Amerikaner
Morphy in den Kampf zu schicken. Letzterer war
1858 nach England und Frankreich gekommen, hatte
einige Schachmeister und vor allem den Deutschen
Adolph Anderssen besiegt, der damals als bester
Spieler der Welt galt, und wurde seinerseits als
weltbester Spieler betrachtet. Die Überlegungen
vergingen wohl schon im Ansatz., weil Morphy keine
Neigung zeigte, nach Deutschland zu reisen, wie
man gehofft hatte, sondern wieder nach Amerika
ging, aber sie zeigen immerhin die Wertschätzung,
die Bezzel als Spieler um 1859 in Deutschland
genoss. "Keine Gelegenheit zu höchstem Ruhm"
steht im Jubiläumsbuch des Bayerischen
Schachbundes "Aufbruch in das dritte Jahrtausend"
über Max Bezzel. Das ist einzuschränken. Er hat
durchaus zweimal eine Gelegenheit gesucht, sich
als Schachspieler zu positionieren, und hat diese
Gelegenheiten erfolgreich genutzt. Ebenso
erkennbar ist, dass er nach seinem Besuch in
Leipzig, solche Möglichkeiten nicht mehr
angestrebt hat, ja dass hier eine
Selbstbeschränkung zu bemerken ist. Im übrigen
darf man vermuten, dass sich damals starke
regionale Spieler besuchten und miteinander
spielten. Der Mann, der sich in seiner
Jugend durch Turnen und Schwimmen, später durch
Jagdgänge gesund hielt, erkrankte an einem
unheilbaren Leiden, wahrscheinlich an Krebs, und
starb viel zu früh am 30. Juli 1871 mit nur 47
Jahren. Bezeichnend für ihn ist, dass er, der
Schwere seiner Krankheit bewusst, deren Verlauf
beobachtete, aufzeichnete und, das Ende vor Augen,
anordnete, man möge ihn nach seinem Tod
sezieren. Immer wieder waren die
Menschen, die ihn kennen lernten, angetan von
seiner Freundlichkeit, seiner Bescheidenheit,
seiner Fähigkeit, auf sie einzugehen, und dem
"höchst anregenden Umgang" mit ihm. So
zeigt sich in diesem Nachruf aus dem Jahr 1872 ein
Lebensbild eines Mannes aus einer fernen, fernen
Zeit, in der Treue zu sich und zu anderen ein Wert
war, den man ganz selbstverständlich lebte. Auch
der ungenannte Verfasser des Lebensbildes ist
erkennbar stark von ihm beeindruckt. Wenn darin
viel vom Schach die Rede ist, so ist das
verständlich, weil Max Bezzel durch dieses in das
Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit trat,
aber es wird auch ein Mensch mit großen
Fähigkeiten deutlich, der seinen Platz in seiner
Heimatstadt und in seinem Beruf voll
ausfüllte. Er war ein Schüler des Gymnasium
Carolinum.
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